„Arbeitssicherheit? Dazu könnte ich ein ganzes Buch schreiben!“ sagt Udo direkt zu Beginn unseres Interviews. Eigentlich kein Wunder, bedenkt man, dass er auf fast 48 Jahre bei RWE und über 40 Jahre im Bereich Arbeitssicherheit zurückblickt. Wie sehr sich die Sicherheitskultur verändert hat fasst er so zusammen: „Nimmt man es genau, wurde ich vom Hasardeur zum HASI.“
Rückblick auf fast 50 Jahre Tätigkeit bei RWE und einen Einblick in 40 Arbeitssicherheit
Wie alles begann
„HASI ist die Abkürzung für Hauptsicherheitsingenieur, das war ich seit 2003 für die Sparte Tagebau und im Geschäftsfeld Veredlung“, sagt er. Was er mit Hasardeur umschreibt, sei doch ein wenig komplexer: „Als ich in den frühen 80-er Jahren im Tagebau als Führungskraft zu arbeiten begann, gab es eine gänzlich andere Arbeits- und Sicherheitskultur, als wie wir sie heute leben. Wir waren damals – was die Arbeitssicherheit betrifft – deutlich risikobereiter. Da gab es Situationen, in denen ich mich ein bisschen wie ein Hasardeur fühlte. Es wurde geduldet, was funktioniert“, sagt er: „Kein gutes Prinzip!“
„Durch Routine verliert man schnell die Angst – darin steckt immer eine große Gefahr“
„Heute geht Sicherheit vor, das war damals noch nicht der Standard“, sagt Udo. Es musste auch mal improvisiert werden, um arbeiten zu können. „Dabei arbeiten wir im Tagebau oft mit großen Komponenten, das sind riesige Ausmaße und Gewichte. Sicherheit muss da immer im Vordergrund stehen. Sicherheitshinweise und -Vorschriften gab es immer schon, wurden aber damals nicht so gelebt oder bewertet wie heute – früher war Routine die Norm.“
„Doch durch Routine verliert man schnell die Angst – darin steckt immer eine große Gefahr“, sagt er. Es erforderte viel Mut, sich richtig zu verhalten oder auch mal die Kollegen anzusprechen und auf Fehlverhalten aufmerksam zu machen: „Man brauchte damals schon etwas Courage, einen anderen Weg zu gehen, vor allem wenn man als junger Mann in ein bestehendes System eintaucht.“ Das hat sich grundlegend geändert, und er ist froh über diesen Wandel, der sich über die vier Jahrzehnte vollzogen hat.
Für die Tagebaue war es eine kontinuierliche Weiterentwicklung
„Unsere Arbeits- und Sicherheitskultur hat sich komplett gewandelt“, betont der HASI. „Für die Tagebaue und Veredlungsbetriebe war es eine kontinuierliche Weiterentwicklung, die Baustein für Baustein voran ging.“ Die Einstellung gegenüber der Arbeitssicherheit – das Mindset, wie man so schön sagt – ist nun ein anderes: “ Wir alle sind uns sehr bewusst, wo und wie wir da arbeiten, und welche enormen Folgen Kleinigkeiten haben können.“ Das sei eine positive Entwicklung, denn: „Heute steht immer die Sicherheit der Mitarbeitenden im Vordergrund, das hat höchste Priorität.“
Sicherheit als Teil der Kultur implementiert
Die Veränderungen haben seiner Meinung nach die Sparte vollständig durchdrungen: „Jeder ist bemüht, dass alle sicher arbeiten können. Kollegen aber auch Führungskraft, bis hin zum Vorstand leben diese neue Kultur und haben sie verinnerlicht. Dass der Vorstand eine verhaltensorientiere Sicherheitsbegehung im Tagebau macht, war früher unvorstellbar, heute ist es Normalität.“ Wie effektiv die Maßnahmen sind, die eingeführt und kontinuierlich weiterentwickelt wurden, zeigt die positive Entwicklung der Unfallzahlen. “In den Siebzigern spielten wir beim Arbeitsschutz noch Bezirksliga, nun sind wir Champions League“, fasst Udo zusammen.
Eine sorgsame Planung und Organisation minimiert Gefahrenpotenziale
„Heute haben wir in unserer Sparte eine gelebte Fehlerkultur und Arbeitssicherheit wird nicht als notwendiges Übel gesehen, sondern ist Grundvoraussetzung für unsere tägliche Arbeit“, sagt er. Das zeigt sich auch in der umsichtigen Planung und Organisation aller Aktivitäten in den Tagebauen, was Gefahrenpotenziale vorab auf ein Minimum reduziert. „Ich gebe Ihnen mal ein Beispiel“, sagt er: „Wir hatten die Aufgabe, eine Fahrwerkskette an einem Schaufelradbagger zu wechseln - eigentlich ein Routinevorgang. Durch eine Fehlplanung stand der Schaufelradbagger aber zu nah am Böschungsrand und wir mussten improvisieren. Dabei hat sich die abgelegte Kette dann unglücklicherweise aufgestellt, was bei einem Gewicht von vielen Tonnen ein unnötiges Risiko für alle Beteiligten darstellte. Natürlich haben wir das damals auch wieder hinbekommen aber durch klar definierte Prozesse, die wir heutzutage haben, passiert so etwas heute erst gar nicht erst.“
„Arbeitsschutz muss sexy sein!“
Dass sich die gesamte Sicherheitskultur derart wandeln und zum Positiven verändern konnte, sieht Udo als Resultat großer gemeinschaftlicher Anstrengung und individuellen Engagements. „Es gibt nichts Schwierigeres, als sich von Gewohntem zu lösen, neu zu denken und sich zu ändern“, sagt er. Eine Portion Stolz aber auch Zufriedenheit schwingt also mit, als er sagt: „Arbeitsschutz muss sexy sein, er muss mich aus der Routine wecken – und das haben wir geschafft. Das Niveau, dass die Kolleginnen und Kollegen bei der Arbeits-, Sicherheits- und Fehlerkultur leben, ist in meinen Augen sehr hoch.“ Er verweist aber auch auf das, was noch zu tun bleibt: „Wir habe eine gute Strecke auf diesem Weg hinter uns gebracht, aber wir müssen auch weiterhin daran arbeiten, die bestmöglichste Sicherheit zu gewährleisten.“
Die Kolleginnen und Kollegen müssen allerdings ohne ihn weiter daran arbeiten, denn er verabschiedete sich nach über 40 Jahren in der Arbeitssicherheit nun in den Ruhestand.
Zum Abschluss noch die Frage nach dem schönsten Moment in seiner Zeit bei RWE: „Das war erst kürzlich, als wir Fotos auf dem Bagger 290 gemacht haben. Ich war früher für diesen Bagger zuständig und stand nach knapp 20 Jahren erstmals wieder auf ihm ganz oben.“