Rheinische Post vom 31.12.2024

„Atomkraft hilft nicht bei den aktuellen Engpässen“

Ein Mann in einem Sakko schaut von einem Balkon aus in die Ferne.

Menschen sorgen sich um die Stromversorgung. Wie schlimm wird es?

Am 12. Dezember stiegen die Strompreise extrem stark an auf über 900 Euro je Megawattstunde, solche Ausschläge zeigen Knappheiten in der Versorgung. Es war ein Tag mit wenig Sonne und kaum Wind. Solche Dunkelflauten sind normal. Wir müssen uns besser vorbereiten, müssen neben Netzen und Erneuerbaren auch Speicher und Backup-Kraftwerke schneller ausbauen.

Droht uns in diesem Winter ein Blackout?

Ungeplante Abschaltungen erwarte ich nicht. Die Netzbetreiber haben viele Mittel, um einen Blackout zu verhindern. Es gibt Reservekapazitäten und auch die Möglichkeit, dass industrielle Verbraucher Nachfrage vom Netz nehmen, um den Stromverbrauch zu senken und so die Lage zu stabilisieren.

Schweden und Norwegen geben Deutschland die Schuld an den Turbulenzen auf dem Strommarkt, weil wir aus der Atomkraft ausgestiegen sind. Was sagen Sie?

Schweden profitiert auch davon, dass wir bei hoher Stromproduktion unsere Überschüsse zu geringen Preisen exportieren. Der Atomausstieg war eine politische Entscheidung, wir haben sie umgesetzt.

Und jetzt muss uns französischer Atomstrom retten?

Es stimmt, dass Deutschland immer wieder mal französischen Atomstrom importiert. Zuletzt waren es zwei Gigawatt. Doch das ist in Europa normal. In der Energiekrise hat Deutschland Frankreich mit Exporten unterstützt.

Die CDU will die drei zuletzt abgeschalteten Meiler wieder anfahren, wenn sie an die Macht kommt. Wäre das machbar?

Die Zeit für die drei Kraftwerke, die für sechs Prozent der deutschen Stromproduktion standen, ist abgelaufen. Das RWE-Kernkraftwerk Emsland ist seit dem 15. April 2023 abgeschaltet und wird zurückgebaut. Derzeit sind hier noch 480 Mitarbeiter, die den Rückbau vorantreiben. Wollte man die drei Meiler wieder hochfahren, bräuchte es langwierige Genehmigungsprozesse, massive Investitionen in die Nachrüstung und den Aufbau einer qualifizierten Betriebsmannschaft. Will die Gesellschaft das?

Die CDU will zudem den Neubau von Meilern prüfen. Was halten Sie davon?

Ein Neubau dauert bis zu zehn Jahren oder mehr, Atomkraft hilft nicht bei den aktuellen Engpässen. Aktuelle Kernkraftprojekte in anderen Ländern zeigen, sie sind oft doppelt so teuer wie geplant und kosten zweistellige Milliarden-Beträge. Ob neue Technologien wie Small Modular Reactors (SMA) sich jemals rechnen, ist offen. Daher müsste der Staat das wirtschaftliche Risiko übernehmen, wenn er will, dass neue Anlagen gebaut werden.

Nun setzt die Politik alles auf grünen Wasserstoff. Glauben Sie wirklich daran? Zumal große Nachfrager wie Thyssenkrupp womöglich ausfallen.

Wir treiben den Ausbau von Wasserstoff voran, wenn auch etwas langsamer als ursprünglich geplant. Die neue Bundesregierung muss umgehend die Kraftwerksstrategie auf den Weg bringen, damit wir mit dem Bau der wasserstofffähigen Gaskraftwerke beginnen können. Wir wollen allein in NRW mindestens drei Gigawatt bauen.

Habeck will nur 12,5 Gigawatt ausschreiben und kleinteilig vorschreiben, wann Erdgas und wann grüner Wasserstoff verfeuert wird. Was brauchen wir?

Die Politik sollte den Brennstoffmix nicht vorschreiben, sondern dies dem Markt überlassen. Der Emissionshandel ist das zentrale Steuerinstrument für Klimaschutz und reicht zur Dekarbonisierung völlig aus. Die Bundesregierung sollte 15 bis 20 Gigawatt an neuen Kraftwerken ausschreiben, damit wir künftig genug Backup-Kapazitäten haben.

Ist der Kohleausstieg 2030 in NRW überhaupt noch machbar? Viele Experten sagen: Nein.

RWE arbeitet am Kohleausstieg 2030, den wir mit Bund und Land vereinbart haben. Das funktioniert aber nur, wenn wir 2025 die Ausschreibung der Gaskraftwerke bekommen. 2026 wird die Regierung wie gesetzlich vorgesehen das Ausstiegsdatum überprüfen. Es ist dann eine Entscheidung der Politik, ob sie wünscht, dass unsere Kraftwerke nach 2030 drei weitere Jahre in der Reserve laufen. Danach ist die Braunkohleverstromung für NRW endgültig beendet.

Was heißt das für die RWE Power? Wollen Sie den Bereich abspalten, etwa in eine Stiftung?

Schon jetzt betrachten wir Kohle und Kernkraft als auslaufende Geschäfte. Eine Abspaltung ist nicht geplant. RWE haftet als Mutter ohnehin für alle Geschäfte. Wir stehen zu unserer Verantwortung für unsere Beschäftigten und der Rekultivierung der Tagebaue.

Teilweise haben Versorger die Strompreise für Verbraucher gerade um 18 Prozent angehoben. Wohin geht die Reise?

Ziel muss es auf jeden Fall sein, weiter Steigerungen zu begrenzen, denn wir haben schon jetzt ein hohes Niveau erreicht. Auf der Erzeugungsseite wird der weitere Ausbau der Erneuerbaren und die Einführung eines notwendigen Kapazitätsmarktes nur geringe Kosteneffekte haben. Entscheidend wird sein, die Kosten des Netzausbaus zu begrenzen und nicht immer auf das Maximum zu planen. Aktuell sehen wir, die Stromnachfrage wächst nicht so stark und schnell wie gedacht. Es kann dann gelingen, die Kosten in Summe stabil zu halten.

Fahren Sie deshalb auch Ihre Investitionen zurück und stecken Ihr Geld lieber in Aktienrückkauf? Das ist ja etwas einfallslos.

Wir investieren weiter Milliarden in den Ausbau der Erneuerbaren in Deutschland und weltweit. Wenn manche Geschäfte sich langsamer entwickeln als gedacht, schieben wir Investitionen etwas nach hinten. Das ist nicht einfallslos, sondern geboten.

Oder steckt der US-Hedgefonds Elliott dahinter, der bei RWE eingestiegen ist und den Aktienrückkauf fordert?

Wir sind mit allen großen Investoren regelmäßig im Gespräch. Den Rückkauf haben wir aufgrund der verschobenen Investitionspläne und mit Blick auf den Aktienkurs beschlossen.

Der Aktienkurs von RWE liegt wie vor zehn Jahren bei 28 Euro. Sind Sie damit zufrieden?

Ich bin zuversichtlich, dass der Kapitalmarkt erkennen wird, dass RWE werthaltiger ist, als es der Kurs derzeit zeigt.

Nun wollen Sie Ihren 25,1-Prozent-Anteil am Netzbetreiber Amprion abgeben. Hat der deutsche Staat schon angeklopft?

Angesichts des hohen Kapitalbedarfs für den Netzausbau prüfen wir derzeit verschiedene Optionen und Finanzierungsmöglichkeiten in Bezug auf unsere Amprion-Beteiligung. Das wird sich in den nächsten Monaten entscheiden. Zu möglichen Transaktionen äußern wir uns nicht.

Was bedeutet der neue Präsident Trump für RWE? Fürchten Sie, dass er jetzt den Bau neuer Windparks abwürgt?

Wirtschaftlich mache ich mir wegen Trump keine Sorgen. In den USA ist RWE die Nummer drei bei den Ökostromanbietern, der Markt wächst sehr dynamisch. Die Nachfrage nach sauberem Strom ist bei großen Abnehmern ungebrochen. Wir haben auch in viele republikanisch regierte Bundesstaaten investiert, auch dort freut man sich über gute Arbeitsplätze.

Seit zwei Jahren liefert Russland kein Gas mehr nach Deutschland. Wie haben wir die Krise überstanden?

Der Gasmangel blieb aus dank gemeinsamer Anstrengung von Politik und Wirtschaft. Wir haben schnell LNG-Terminals aufgebaut und woanders Gas beschafft. Die Speicher sind voll, in diesem Winter muss sich keiner Sorgen machen. Die Gaspreise sind für viele Kunden wieder auf dem Niveau von vor der Krise. Dennoch muss der Ausbau der Importinfrastruktur weiter gehen. Wir brauchen Reserven im System.

Wie geht es mit Russland nach einem möglichen Ende des Ukraine-Krieges weiter? Kann das Land jemals wieder Handelspartner sein?

Für solche Überlegungen ist es noch viel zu früh. Jetzt muss es erst einmal darum gehen, den Krieg zu fairen Bedingungen zu beenden.

Was erwarten Sie von der neuen Bundesregierung?

Deutschland muss in Europa wieder eine führende Rolle übernehmen, Unternehmen und Bürgern verlässliche Rahmenbedingungen bieten. Die Infrastruktur muss aus- und die Bürokratie endlich abgebaut werden. Und wir brauchen mehr Dynamik am Arbeitsmarkt.

Was meinen Sie damit? Weniger Bürgergeld? Später in Rente?

Eine Vier-Tage-Woche über nur 30 Lebensarbeitsjahre wird nicht reichen, den Lebensstandard von heute zu halten. Das Renteneintrittsalter muss sich am demografischen Wandel orientieren. Und es ist wichtig, dass Arbeit sich wieder stärker lohnt. Dazu sollte auch das Bürgergeld überprüft werden.

Welche Koalition wäre aus Sicht von RWE gut?

Über die nächste Regierung entscheidet die Wähler. Wichtig ist, dass sie handlungsfähig ist und dann schnell den Schalter Richtung Strukturreformen und Investitionen umlegt.

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