Herr Krebber, was bedeutet das Koalitionsende für die Energiepolitik?
Es stehen wichtige Entscheidungen in Deutschland an, und die Bundesregierung muss auch ihren Gestaltungsanspruch in Europa wahrnehmen. Insofern brauchen wir jetzt schnell wieder volle Handlungsfähigkeit in Berlin, auch in der Klima- und Energiepolitik.
Es zeichnet sich ab, dass der Kanzler die Vertrauensfrage nun doch früher als erst im Januar stellt. Ist das gut?
Das ist eine politische Entscheidung. Aber meine Erwartung ist schon, dass es mit einer Minderheitsregierung in der Gesetzgebung schwierig wird. Für uns zentral wichtig ist, dass die Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes und das Kraftwerkssicherungsgesetz vorankommen. Darin geht es um den Zubau von Kraftwerkskapazitäten als Backup für die erneuerbaren Energien - also um Zeiten zu überbrücken, zu denen kein Wind weht und keine Sonne scheint. Da muss dringend etwas passieren, denn wir haben immer wieder Engpässe, wie man kürzlich an den Strompreisen gesehen hat: In wind- und sonnenarmen Stunden stieg der Börsenpreis auf 800 Euro je Megawattstunde.
Was halten Sie von den energiepolitischen Vorstellungen der Union, die vielleicht den nächsten Kanzler stellt?
Das jüngste Papier dazu sieht keine grundsätzlichen Änderungen in der Energiewende vor, aber es stellt die Kosteneffizienz in den Vordergrund. Das halte ich für richtig, denn ohne bezahlbare Energiepreise für Wirtschaft und Haushalte geht die Akzeptanz verloren. Wir müssen da, wo es kostengünstig ist, als Erstes dekarbonisieren und die teuren Felder später mit weiterentwickelter Technik angehen. Das beste Instrument, um CO2 kosteneffizient zu vermeiden, ist der Emissionshandel der EU, das EUETS. Wenn wir in Deutschland zu viel auf einmal und alles gleichzeitig wollen, dann hilft das nicht. Zudem verheddern wir uns bei der Energiewende in Details und Überregulierungen. Das macht die Transformation langsam und teuer - und zwar ohne zusätzliche klimapolitische Wirkung.
Wo könnte man noch abspecken?
Die Definition von grünem Wasserstoff, von grünen Batterien, die Zwangsumstellung der Energieträger bei neuen Gaskraftwerken auf grünen Wasserstoff - all das hat unter dem europäischen CO2-Handelssystem keinerlei positiven Effekt auf die Klimabilanz. Diese Vorgaben machen die Sache aber für uns und damit auch für die Industrie und die Konsumenten ausschließlich teurer. Weiterer Punkt: Wir benötigen dringend eine Angebotsausweitung. Bei den Erneuerbaren sind wir gut unterwegs, aber wir brauchen dieselbe Beschleunigung beim Ausbau der Speicher und der gesicherten Leistung, also bei den wasserstofffähigen Gaskraftwerken.
Die Union denkt an eine Renaissance der Kernkraft. Was halten Sie davon?
Grundsätzlich spricht nichts gegen einen technologieoffenen Ansatz. Ich bin aber skeptisch, dass es gelingt, Kernkraftwerke wettbewerbsfähig zu betreiben. Das ist kein Sicherheitsthema, sondern ein ökonomisches. Viele Neubauinvestitionen laufen aus dem Ruder, die Stromentstehungskosten sind dann höher als heute.
Wäre die Reaktivierung der zuletzt stillgelegten Kernkraftwerke überhaupt möglich?
Rein technisch ist alles möglich. Aber weil der Rückbau kontinuierlich fortschreitet, gleicht das fast einem Neubau. Die Kernfrage ist, wo sind wir mit dem gesellschaftlichen Konsens in Deutschland? Die Kernkraft braucht eine belastbare Basis.
Die Mehrheit will Kernkraft - in Umfragen zur Zeit der Abschaltung der letzten Atomkraftwerke fand mehr als die Hälfte der Deutschen diesen Schritt falsch.
Aber die Einstellungen dazu haben immer stark hin und her gewechselt. Hinzu kommen viele andere Hürden: Die erloschenen Genehmigungen, die hoch qualifizierten Arbeitskräfte sind nicht mehr da, riesige Investitionen mit langem Vorlauf. Wenn ich Kosten und Nutzen gegenüberstelle, muss ich sagen: Renaissance der Kernkraft? Großes Fragezeichen!
Wie sinnvoll wäre es, mehr CCS einzusetzen, also die Abscheidung und Verpressung von Kohlendioxid?
In Zukunft wird die meiste Energie aus Erneuerbaren stammen. Für die wenigen Tage, wenn sie nicht liefern, brauchen wir Versorgungssicherheitsanlagen, vor allem Gaskraftwerke. Deren Auslastung wird gering sein. Genau deswegen gibt es ja die Überlegung, in Kapazitätsmärkten deren Kapazität zu vergüten. Weil die Anlagen selten laufen und nur wenig CO2 ausstoßen, ist es vermutlich günstiger, später Wasserstoff einzusetzen als CCS. Wir sollten aber von der Technologiedebatte weg und nicht vorgeben, welches Verfahren richtig ist, sondern schauen, wie und wo die CO2-Vermeidung am günstigsten möglich ist. In vielen Industrien und zur Produktion von blauem Wasserstoff ist CCS dringend geboten.
Beim Wasserstoff gibt es Rückschläge. Das Kernnetz wird kleiner, und der norwegische RWE-Partner Equinor hat seine Pläne zum Export nach Deutschland kassiert, weil das Verfahren zu teuer und die Nachfrage unzureichend sei. Aber Sie glauben noch an den Wasserstoff?
Zum Wasserstoffhochlauf braucht es dreierlei: Nachfrage, Angebot und Infrastruktur. Das Angebot kann man günstiger machen, indem man es nicht allein auf grünen Wasserstoff beschränkt. Beim Kernnetz geht zu Recht der Staat voran, er müsste aber auch bei der Importinfrastruktur helfen. Wo man nachsteuern sollte, ist auf der Nachfrageseite. Es gibt Leuchtturmprojekte, wo einzelne Unternehmen Unterstützung bekommen, aber man sollte über einen breiteren Anreiz der Nachfrageseite nachdenken, damit es für Infrastrukturbetreiber und Anbieter einen Markt gibt.
Für RWE sind die USA der größte Erneuerbaren-Markt. Was bedeutet der Sieg des Klimawandelleugners Donald Trump?
Unabhängig vom Wahlausgang wird die Nachfrage nach sauberem Strom in den USA weiter deutlich steigen, durch die Elektrifizierung, durch den massiven Bedarf an Datenzentren für die Künstliche Intelligenz. Das ist die Grundlage unseres Geschäfts, deshalb bin ich unbesorgt. Schon unter Trumps erster Präsidentschaft war der Ausbau der Erneuerbaren gut, und es gab auch eine Förderung grüner Investitionen. Im republikanisch regierten Texas zum Beispiel florieren Strom und Photovoltaik wegen der guten Wind- und Sonnenverhältnisse. Sie schaffen lokale Arbeitsplätze und Wertschöpfung. Die Amerikaner sehen in den Erneuerbaren ökonomische Chancen der günstigen Stromerzeugung.
Sie loben den CO2-Handel, Länder wie die USA und China haben aber keinen. Um faire Konkurrenz bei Importen zu schaffen, experimentiert die EU mit Klimazöllen, CBAM genannt. Ein guter Weg?
Ich bezweifle, dass man das Thema über die CBAM in den Griff bekommt. Das Verfahren ist ein wahnsinnig bürokratischer Angang und hilft höchstens beim Import. Für den Export müssten EU-Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen, weitere freie CO2-Zuteilungen oder einen Ausgleich aus den staatlichen CO2-Einnahmen erhalten.
Noch einmal zur Kraftwerksstrategie und den Kapazitätsmärkten: Was muss da kommen?
Wir diskutieren schon seit fast drei Jahren und haben immer noch kein Gesetz. Wenn man jetzt schnell bauen könnte, wären die neuen Gaskraftwerke frühestens 2029 fertig - und 2030 soll bei uns der Kohleausstieg durch sein. Die bisherigen Pläne für das Gesetz sind noch zu kompliziert und zu detailliert, mit genauen Brennstoffvorgaben, Standorteinschränkungen oder technisch überregulierten Spezifikationen. Mein Vorschlag ist simpel: technologieoffen gesicherte Kapazität ausschreiben und die Dekarbonisierung davon entkoppeln. Dafür haben wir schließlich den europäischen Emissionshandel. Später bei Kapazitätsmärkten können wir uns an den Modellen in Großbritannien oder Belgien orientieren. "Copy, Paste und fertig." Man muss nicht alles neu erfinden.
Es ist ja ziemlich unbestritten, dass der Ausbau der Erneuerbaren gut vorangeht. Zu gut? Schließlich kommen wir mit dem Leitungsausbau nicht hinterher, es gibt immer wieder negative Strompreise, und manche befürchten schon den Photovoltaikinfarkt.
Auch wenn ich jetzt ein bisschen gegen unser eigenes Geschäft spreche - ich teile diese Bedenken. Warum? Wir müssen das Gesamtsystem im Blick haben. Wir können nicht zubauen, allein um Zubauziele zu erreichen, oft ohne Nutzen und an Stellen, wo der Strom gar nicht abtransportiert werden kann. Und wir können auch nur das vergüten, was einen Nutzen hat. Zudem sehe ich in dem, was sich da gerade tut, erheblichen sozialen Sprengstoff.
Inwiefern?
Ich gebe mal ein Beispiel. Wenn wir uns zu Hause im Einfamilienhaus Solarpanels aufs Dach legen, lösen wir damit ein Stück weit die Notwendigkeit zum Netzausbau aus und erhöhen die Kosten des Netzbetriebs. Diese Kosten werden aber sozialisiert auf alle. Dann bekommen wir noch eine Einspeisevergütung, auch wenn der Strom gar nicht gebraucht wird und die Preise negativ sind. Auch das wird am Ende sozialisiert, es tragen diejenigen, die sich das Solardach nicht leisten können. Das kann nicht funktionieren!
Was sollte die Konsequenz sein?
Wir sollten an zwei Sachen ran. Erstens: Die Erneuerbaren müssen so in den Markt integriert werden, dass es von allen Akteuren marktrationales Verhalten gibt. Denn würden wir uns eine Batterie mit in den Keller stellen, ist das Problem gelöst. Dann können wir unseren Solarstrom selbst speichern. Das Gleiche sollte dann auch für Großanlagen gelten. Dass es weiterhin Vergütungsmodelle geben muss, ist richtig, aber netzdienliches Verhalten muss richtig angereizt werden. Das Zweite ist eine generelle Netzentgeltereform. Die Netzentgelte müssen danach verteilt werden, wer eigentlich die Netze in Anspruch nimmt. Oder andersherum: Wer netzdienliches Verhalten an den Tag legt, der muss entlastet werden. Kalifornien zum Beispiel erhebt die Netzentgelte gar nicht nach der Strommenge, sondern primär danach, wer bei dem größten Netzengpass die Netze in Anspruch nimmt. In Deutschland laufen derzeit zu diesen Fragen die Konsultationen der Bundesnetzagentur.
Zu einer gelingenden Energiewende zählen auch Wärme und Verkehr. Wie sieht es damit aus?
Hochkomplex! Wir haben einen ganz klaren Pfad, wie wir die Dekarbonisierung im Stromsektor hinbekommen - hoffentlich auch kostengünstig. Beim Thema Wärme und Transport geht es am Ende um Entscheidungen jedes einzelnen Konsumenten. Was hier gelingen muss: Weniger Verbote aussprechen und stattdessen die Freude an neuen Technologien wecken! Über Anreize. Das gilt bei Wärmepumpen für Hausbesitzer ebenso wie für Autokäufer, denen man Elektroautos schmackhaft machen muss.
Also Kaufprämien wieder einführen?
Im Prinzip haben wir mit der CO2-Bepreisung schon ein gutes Instrument. Der Betrieb von Verbrennermotoren wird, wenn die Preissteigerungen so kommen wie geplant, deutlich teurer. Ich muss dann natürlich auch wieder darüber nachdenken, diejenigen, die sich vielleicht kein Elektroauto leisten können, zu unterstützen, Stichwort: Klimageld.
Was erwarten Sie - wie werden sich die Strompreise in Zukunft entwickeln?
Die Endkundenpreise hängen neben den Kosten für die Erzeugung auch stark von den Netzentgelten und Steuern und Abgaben ab. Was die uns betreffenden Großhandelspreise für die Erzeugung angeht, ist meine Erwartung, dass wir absehbar etwa auf dem heutigen Niveau von rund 80 Euro je Megawattstunde bleiben. Dafür gibt es zwei gegenläufige Faktoren: Es ist zu erwarten, dass die CO2-Preise steigen, weil die erlaubten Emissionen kontinuierlich abgesenkt werden. Auf der anderen Seite können wir davon ausgehen, dass der Zubau von Erzeugungskapazität und sinkende Gaspreise dies kompensieren.
Was heißt das für RWE als Unternehmen?
Im Vergleich zur Zeit vor fünf Jahren ist unsere Abhängigkeit vom Strompreisniveau schon deutlich gesunken. Das liegt daran, dass der größte Teil unserer Investitionen langfristig abgesichert ist. Wir schließen zum Beispiel mit unseren Kunden langfristige Stromabnahmeverträge, was für beide Seiten gut ist. Es gibt uns Investitionssicherheit und dem Abnehmer eine Preisgarantie. Das haben wir ja auch in der Energiekrise gesehen: Diejenigen, die langfristige Abnahmeverträge hatten, hatten stabile Strompreise.
Bis 2030 will RWE erhebliche Investitionen von 55 Milliarden Euro tätigen. Ist dieses Ziel weiterhin realistisch?
Wir sind ein Unternehmen in Transformation. Wir leisten nicht nur unseren Beitrag zur Energiewende, sondern wir müssen auch unsere eigene Kapazität ersetzen, die über Zeit abgeschaltet wird. Deswegen ist es ganz natürlich, dass wir hohe Investitionen tätigen. Wir sehen außerdem auf der ganzen Welt langfristig hervorragende Aussichten für unser Produkt: für grünen Strom. Das wird noch mal beschleunigt durch die Elektrifizierung und den Boom der Künstlichen Intelligenz. Jetzt kommt es mittelfristig natürlich darauf an, dass wir in den einzelnen Ländern, in denen wir agieren, stabile Verhältnisse und ein attraktives Investitionsumfeld haben.
Da sind wir zurück am Anfang. Bei der Politik und den derzeit eher instabilen Verhältnissen.
Ja, die Politik ist ein Faktor, aber nicht der einzige. In unserem Geschäft spielt auch das Zinsniveau eine Rolle. Wir haben eine sehr hohe Kapitalbindung in unserem Geschäft. Dazu gehören weiter Inflation und Lieferketten sowie geopolitische Risiken. Es ist eine ganze Risikolandkarte, die wir uns angucken und auf deren Basis wir unsere Investitionsmöglichkeiten bewerten.
Muss man in diese Risikokalkulationen zunehmend auch mit aufnehmen, dass in Deutschland extremistische Kräfte erstarken?
Wir haben hierzulande ein Problem mit der politischen Handlungsfähigkeit. Vieles dauert einfach zu lang, manches geht überhaupt nicht voran. Es gibt keine klaren Verantwortlichkeiten - der eine zeigt nach Brüssel, der andere nach Berlin und der Nächste auf die Kommunalverwaltung. Entscheidungen sind immer sehr komplex und langsam. Das lähmt natürlich und frustriert die Bürgerinnen und Bürger.
Bedeutet, wenn man das auf die Energiepolitik anwendet?
Selbst wenn Sie eine Bundesregierung haben, die guten Willens ist, dauert es oft lange, etwas umzusetzen. Wenn sie endlich Einigkeit in der Koalition haben, braucht es das Okay aus Brüssel. Die spätere konkrete Umsetzung hängt an den lokalen Behörden. Für konkrete Projekte sind Antrags-, Nachweis- und Prüfverfahren oft extrem komplex. Von der Absicht, über einen Kapazitätsmarkt neue Kraftwerke zu bauen, vergehen in den Prozessen mindestens fünf Jahre, bis der Bau überhaupt losgeht - das heißt, Sie sind mit der Fertigstellung schon am Ende der nächsten Legislaturperiode. So ist auch die Politik, die willens ist, nicht mehr handlungsfähig. Da müssen wir dringend ran!
Das Gespräch führten Christian Geinitz und Nadine Bös.
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